Gefühlte 50 Jahre haben Modellbahner in Westdeutschland auf eine zeitgemäße Nachbildung dieses verbreiteten Wagentyps mit vier "Von Haus zu Haus"-Pa-Behältern gewartet. Einen großen Teil der Wartezeit deckte die langjährige Modellankündigung von Liliput ab - zu einem Ankündigungspreis von zunächst 34,90€.
In den vergangenen beiden letzten Ankündigungsjahren wuchs der Preis auf nunmehr bis zu 98 € an, erst als Paar, dann bei Auslieferung als Einzelwagen - viele Händler stornierten darauf die erhaltenen Vorbestellungen bei den Kunden, da der eingegangene Vertrag nicht einzuhalten war. Die Wirkung dieser Aktion blieb nicht aus, die Modellbahner wurden unwirsch und erwarteten nun wenigstens ein für diesen Preis angemessenes Modell mit feinster Detaillierung und erstklassigen Betriebseigenschaften - bei einem Vorbild, dass lediglich ein "Skelett" darstellt, sicher eine Herausforderung, die nur in einer Metallausführung zu realisieren war.
Nun sind die ersten Ausführungen im Handel -zu "Straßenpreisen" von 78 € bis 99 €, aber auch bis zu 7€ über UVP. In den einschlägigen Foren schlagen die Wogen hoch, es werden ausreichende Groß- und Nahaufnahmen angeboten. Zufriedenheit über die Ausführung hat sich bei den bisherigen Beiträgen (7.11.15 09:00) nicht erkennen lassen. Im Februar 2017 erfolgte der Abverkauf der Restbestände zu Straßenpreisen unter 60 €. Im April 2018 wurde ein Restbestand bei großen Versendern für unter 40€ angeboten. Eine spätere Wiederauflage soll nicht geplant sein.
Was bekommt der Kunde für sein Geld?
Einen aus meiner Sicht recht gut gelungener Kompromiss aus Metallguss, realtiv fein und doch noch handhabbar stabil. Die Kanten sind materialbedingt nicht so scharf, wie man es heute von Kunststoffspritzguss gewohnt ist und auch nicht so scharf, wie es eine gehärtete Druckgussform ermöglicht hätte. Es wurde alle Varianten gefertigt: BTms55 mit kurzer Bühne ohne Handbremse (L235120), BTms55 mit Blech-Bremserhaus (L235140) und BTms55 mit langer Bühne ohne Bremserhaus (L235125). Das ist kaum einem Kritiker positiv aufgefallen.
Die Lackierung erscheint etwas zu dick aufgetragen, was aber bei diesem Empfinden Lack oder Metall als Ursache ist, vermag ich ohne Beschädigung des Wagens nicht zu sagen. Die in den Foren als "teigig" beschriebene Form ist nicht so deutlich schlecht wie etwa bei den ExactTrain Offs.
Die Beschriftung und Detailfärbung ist auf den ersten Blick einwandfrei und sehr aufwändig.
Einzige und unlackierte Anbauteile aus Kunstoff sind eine einfache Nachbildung der Bremsen (in Radebene), Schaken (wobei die Schaken die notwendige Tiefe vermissen lassen), Federn und Radlager aus einem Guss, eine einfache Bremserbühne, schiefes Bremserhaus und Tritte an den Lagerschienen für die Behälter. Die Mittelbleche liegen auf der falschen, zu hohen Ebene. Die Bremsanlage an den Achsen ist ebensowenig nachgebildet wie die Bremszüge und seitlich gut sichbare Bremsregelung. Der Kunstoff ist sehr bruchempfindlich. Die Federn sind völlig entlastet dargestellt - was wohl auf die hier falsche Zeichnung von Stefan Carstens zurückzuführen ist.
Die Pufferbohle ist nicht detailliert, der Ursprung der Puffer ist mir nicht bekannt.
Der Wagen verfügt über eine Kurzkupplungskinematik mit NEM-Schacht.
Die Behälter (Ekrt, Efkr oder Eoskrt für Ep. III sowie Edzkr und ein bunter Behälter für Epoche 4) sind ab Werk aus Formteilen zusammengeklebt und nicht weiter detailliert. Viele Strukturen sind einfach nur schwarz aufgedruckt. Ein Vergleich mit den weiteren (beim Vorbild identischen) Pa-Behältern am Markt lässt sie hinter diesen in der Nachbildung zurückstehen. Die Halterung sind maßgleich mit denen der Roco-Pa-Behälter. Die Behälter tragen unterschiedlichen Nummrn auf dem Wagen. Die Eoskrt sind innen geschwärzt.
Mein Fazit: für eine Preis zwischen 74€ und 98€ pro Wagen hätte ich eine völlig andere Leistung erwartet. In für Top-Modelle der Preisklasse 30-50€ setzt BRAWA derzeit Maßstäbe - und von diesen ist das Modell technologisch 50 Jahre entfernt. Damit ist der Kunde in jeder Hinsicht überfordert. Eine positive Absatzprognose kann ich hier nicht abgeben. Turberg in Berlin scheint aber hier eine Goldgräberstimmung gespürt zu haben und verlangte gleich 7€ über UVP (Foto vom 6.11.15 15:00 kann bereitgestellt werden). Inzwischen (15.2.17) werden im Schlußverkauf noch 55-60€ gefordert.
LILIPUT-BACHMANN wird erklären müssen, warum man das Modell so am Markt plaziert. An dem Fachwissen kann es weder fertigungstechnisch noch von der Vorbildkenntnis gemangelt haben, denn LILIPUT kann gute, hochdetaillierte Modelle bauen und die Vorbild-Beratung erfolgte durch Stefan Carstens. Somit waren beste Voraussetzungen gegeben.
Vermutlich aber wird die Kritik nicht ankommen, denn LILIPUT-BACHMANN ist Teil des riesigen chinesischen Kader-Konzerns und daher aufgrund der asiatischen Führungsprinzipien nicht berechtigt, Fertigungen aus Kader-Werken zu kritisieren oder gar abzulehnen. So beglückte man uns ja auch schon mit den "gut belüfteten" Austauschgüterwagen.
Ein online verbreiteter Sonderdruck des "Tests" von Stefan Carstens in der MIBA 10/15 wurde mit Hinweis auf fehlende Veröffentlichungsrechte zurückgezogen und kann hier nicht verlinkt werden. Er ist aber bei den Händlern und wohl auch auf der LILIPUT-Homepage im Archiv verfügbar. Inzwischen hat sich auch Stefan Carstens in einigen Aussagen dieses "Tests" öffentlich korrigiert.
Die tiefste Diskussion mit Äusserungen von Stefan Carstens findet sich in "Drehscheibe online". Äusserungen des Anbieters zum Modell und der Kritik daran sind mir derzeit nicht bekannt, wären aber sicher willkommen.
Vergleiche der Behälternachbildungen:
Dank der Austauschbarkeit Roco/Liliput ist ein direkter Behältervergleich möglich. Roco leifert den Efkrt auch in Silber ohne Werbung. Zweifelsohne ist die Roco-Detaillierung besser als die von Liliput, aber alle sind maßhaltig und die Farbe scheint bei Liliput am besten getroffen, denn silbern waren die Behälter nie.
Das obige Foto zeigt einen BTms55 mit kurzer Bühne ohne Handbremse und Ekrt. Dieser Wagen ist mit den Behältern aus L235140 und dem Fahrwerk aus L235120 problemlos nachbildbar.
Liste weiterer Modelle:
Fotos, soweit nicht explizit Quelle angegeben: Will Berghoff 2015/2017
Stand: 2/2017