Der rote Speisewagen 555 auf Basis eines 8-türigen Vorkriegs-Eilzugwagens hat tatsächlich existiert und ist auch fotografisch belegt.
Neben einem schon länger von MÄRKLIN verfügbaren einfachen Modell auf falscher Wagenbasis hat BRAWA 2018 ein anspruchsvolles Modell angekündigt und im Juli 2020 leider ein unbefriedigendes Modell ausgeliefert.
Der Speisewagen 555 wurde 1948/49 aus einem Lazarett-Wagen (Basis C4üpe-36) aufgebaut, an die Hamburger Speisewagen-Gesellschaft, die 1950 in der neuen DSG aufging, vermietet und ging einige Jahre später zum Einsatzpark des RTC als WR4yk(e) 900 577 zurück.
Baugleiche, dunkelgrüne Fahrzeuge wurden in den Dienstzügen der britischen Armeen (RTC) in Deutschland lange Zeit eingesetzt.
Weitere Varianten sind also möglich, sowohl der 555 noch ohne DSG-Beschriftung als auch die RTC-Wagen mit 1+2 (Offiziere) oder 2+2-Sitzplatzanordnung.
Das BRAWA-Modell basiert auf dem ausgezeichneten Basismodell des Einheitseilzugwagen C4ye-36 aus 2018. Schon die Ausführung das bauähnlichen Halbspeisewagens schürte hohe Erwartungen an das Modell des 555.
Doch, wie schon beim B3ygke hat BRAWA auf halben Weg offenbar aufgegeben (s. a. zusätzl. Kommentar unten):
Der erste Blick zeigt bereits deutliche Sparmaßnahmen:
- BRAWA hat den Bereich des Kellneroffice einfach leer belassen, ohne die Schränke und Theke nachzubilden.
- Die Inneneinrichtung weist weiterhin ein WC auf, obwohl bei diesem Wagen die Tische bis an das Wageneinstiegsende heranreichen sollten.
- So sind anstelle der 14 Tische (40 Plätze 2+1) 11 Tische mit 43 Plätzen (2+2) sowie ein Einzelsitz mit einem runden Cocktailtischchen im Wagen vorhanden.
- Die Anschrift nennt 52 Plätze statt 40. Das wäre für eine korrekte Anzahl an Tischen bei 2+2-Anordnung korrekt.
- Ein Teil der Türen ist beim Vorbild nicht nutzbar gewesen, die entsprechende Tritte waren entfernt worden. Das wurde am Modell nicht berücksichtigt
- Das Dach, das beim BR4ye noch angepasst worden war, ist beim WR4ye nun nicht gegenüber dem Sitzwagendach geändert worden. So fehlt z.B. die Esse der Öfen über der Küche, die beim BR4ye vorhanden ist und hätte übernommen werden können. Etliche Lüfter sind überlüssig oder falsch plaziert.
- Der gesamte Wagenkasten ist im Bauzustand 1951. Dagegen sind die Übergänge (mit sehr gutem Blechkasten) mit Gummiwulsten ausgerüstet. Dies steht im völligen Wiederspruch zur Ausstattung mit Laufbrettern, vollen Leitern und hochliegenden Schlußlichthaltern und fehlenden Oberleitungswarnblitzen. Das "g" fehlt auch in der Anschrift.
- Untersuchungsdatum 2.1.57, der Wagen ging allerdings bereits mit Anordnung vom 21.09.1955 an das RTC zurück.
- Der Kohlenkasten fehlt am Kopfende - die Herde bleiben kalt
Wie man an den Detailfotos sieht, liegt Topleistung und Irrationalität dicht beieinander.
Zur Nachbildung eines korrekten WR 555 wird der Modellbahner erheblichen Umbauaufwand leisten müssen.
Für den Umbau benötigt man folgende BRAWA-Ersatzteile:
4x |
05 |
Handlauf |
0018105.00 |
4x |
12 |
Faltenbalgstütze geschlossen |
0018155.00 |
4x |
13 |
Faltenbalgstütze offen |
0018156.00 |
2x |
14 |
Faltenbalg geschlossen |
0018157.00 |
2x |
15 |
Faltenbalg offen |
0018158.00 |
sowie ein T-Abzugrohr aus dem CN-Modell-Bauteile-Satz 9029 von Christoph von Neumann (Bezug über wagenwerk.de oder reitz-modellbau.com). Die fehlenden Teile der Inneneinrichtung sind aus Polystyrolplatten herstellbar. Gelegentlich werde ich den Umbau selbst vornehmen und dann hier berichten.
Im Hinblick auf den von BRAWA angekündigten DSG-Speisewagen aus dem RHEINGOLD 1928 senkt dieses Modell die Erwartung drastisch, denn auch dieser Wagen macht erhebliche Formänderungen am Aufbau gegenüber dem Ursprungsfahrzeug notwendig.
Eine kleine Anmerkung zu Modellkritiken wie dieser:
Die Deutsche Bundesbahn hat im Betrieb die Fahrzeuge permanent überarbeitet. Anlass dazu gab es durch Änderungen von Vorschriften und Normen/Richtlinien der EBO und UIC, der Berufsgenossenschaft (DSG) und anderer Unfallsversicherer, zunehmenden Einfluß des Gesetzgebers (z. B. Hygienevorschriften ab 1970 auch für die Bahngastronomie), Einfluß betrieblicher Erfahrungen und Änderungen durch Instandhaltungsmaßnahmen sowie Sparmaßnahmen. Es ist für Modellhersteller nicht nur schwierig, wirklich ein Modell auf den Punkt nachzubilden, weil diese Änderungen bei jedem einzelnen dieser Wagen zu einem anderen Zeitpunkt erfolgten, auffällige Änderungen schränken auch den Absatz ein. So muss man in Kauf nehmen, dass ein Modell entweder in keinen Zeitraum perfekt "passt" oder aber nur für einen sehr eingeschränkten Zeitraum passend ist. Mitunter ist auch die Art der Recherche und die Auswahl der Quellen entscheidend - das lehrt die Fensterdiskussion beim A.C.M.E.-BRbuüm. Wer prüft schon Fenster beim "Carstens"? Meine Arbeit ist es, mögliche Unterschiede auszuarbeiten, nicht aber, ein im Grunde gutes Modell zu verdammen. Ausnahmen, die nicht hinnehmbar sind, gibt es aber auch. Dazu gehört der hier betrachtete, hochpreisige Wagen mit zentralen Unstimmigkeiten, insbesondere den Gummiwulstübergängen und Sparmaßnahmen bei Dach und Inneneinrichtung. Eine gewisse "Plausibilität" erwartet auch der Käufer.
Die "Epoche" ist meist keine Hilfe, der einzig wirklich verlässliche Unterschied z.B. zwischen IIIa und IIIb sind die Klassenziffern. Alles andere war fliessend.
Das MÄRKLIN-Modell:
In einer Pseudo-F-Zug-Packung (#29845) mit merkwürdigen blauen Mittelgangwagen lieferte Märklin eine Zeit lang einen zum Speisewagen umbeschrifteten C4ye-30 aus. Sein Erscheinen gab Anlass zur Diskussion über ein tatsächlich mögliches Vorbild.
Da das Märklin-Modell keine angepasste Inneneinrichtung erhielt und so nur als Sitzwagen ausgestattet ist, stimmen an diesem Modell leider nur 2 Details:
- Die Drehgestelle der Bauart Görlitz III leicht mit 4. Federung
- Die sehr gelungene Lackierung und Beschriftung (Zustand ab ca. 1952)
Leider gab es vor den ESU- und BRAWA-Modellen kein brauchbares Modell eines großfenstrigen C4ie, C4ye oder C4üpwe der "windschnittigen" Bauart mit Ausnahme des in der Seitenansicht mißlungenen Roco-Modelles. Man musste also mit dem Märklin-Modell leben.
Wer das Modell in der aktuellen Epoche nutzen will, hat dazu auch eine Möglichkeit, denn ein "Nachbau" steht als Besprechungsraum auf einem Speditionshof zwischen Köln und Bonn:
Text und alle Fotos, soweit nicht anders angegeben © Will Berghoff 8/2020
Stand: 01.09.2020 13:30